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Artikel in der Welt am Sonntag vom 9.12.2001

Mit dem Fahrrad ums Kap

Sie umweht der Mythos von Kap Hoorn: Otto Letz, Donald Lewis-Garnham, George Gunn und Jacky Tailor erzählen von ihren Abenteuern

Von Svante Domizlaff und Peter Geller

Weihnachten 1936 war für Otto Letz, 85, ein kleines Wunder, damals im Orkan bei Kap Hoorn. Der gebürtige Berliner, von Beruf zeitweilig Steuerfahnder, später Fregattenkapitän der Marine ("hart, aber gerecht") und mit 70 Jahren noch zum Segelschullehrer berufen, segelte als Leichtmatrose auf der Viermastbark "Padua" unter Kapitän Robert Clauß.

Letz erinnert sich: "Das schlimmste Wetter bekamen wir noch vor Kap Hoorn. Etwa in Höhe der Falkland-Inseln. Es war kurz vor Weihnachten, eiskalt. Immer wieder mussten wir in den Mast, um Segel festzumachen, denn es wehte mit Windstärke 10 bis 11. Aber am Heiligabend, da flaute der Wind plötzlich ab auf Stärke 8. An Land würde man das immer noch als ausgewachsenen Sturm bezeichnen. Aber uns kam es wie eine Erholung vor. Wir konnten in Ruhe gemeinsam Weihnachten feiern. Aber schon am folgenden Tag kam der Orkan zurück und flaute erst am Kap Hoorn ab. In zwölf Tagen waren wir rum, eine schnelle Zeit."

Auch an die Rückreise erinnert sich Letz gut: "Bei Kap Hoorn mussten wir eine Halse fahren, also das Heck des Schiffes durch den Wind drehen. Das Manöver dauerte vier Stunden - nicht weil wir zu viel, sondern weil wir zu wenig Wind hatten."

Otto Letz lebt heute in Flensburg. Mit seinen wasserblauen Augen und der rosigen, fast faltenfreien Haut würde er als Frühpensionär durchgehen. "Der liebe Gott hat es immer gut gemeint mit mir. So viele Kameraden konnten die Rückkehr nach Kap Hoorn nicht mehr erleben. Ich hingegen bin nie ernsthaft krank gewesen", erzählt er.

Wie nah Leben und Tod beieinander sind, hat er vor Kap Hoorn erlebt. Er berichtet: "Eines Tages fiel bei uns ein Mann aus dem Mast über Bord. Er ist von ganz oben gefallen, von der Royal-Rah, 50 Meter hoch. Meines Wissens hat noch kein Matrose einen solchen Sturz überlebt. Gott sei Dank war das Wasser ruhig. Wir haben sofort zwei Boote ausgesetzt und sind zu ihm hin gerudert. Wir konnten ihn gerade noch greifen. 14 Tage später war er wieder im Dienst."

Kapitän Donald Lewis-Garnham lebt auf der Insel Tasmanien. "Mein Alter hab' ich vergessen", sagt der Australier, "aber 85 Jahre könnten es wohl sein." "Don", wie sie ihn nennen, hört ein bisschen schwer. Kein Wunder, wenn man so lange in den Brüllenden Vierzigern segelt, wie man wegen des Sturmgetöses das Gebiet der vierziger Breitengrade nennt.

Auf der Viermastbark "Moshulu" ist Don Leichtmatrose gewesen. Das war 1936, in der Weizenfahrt von Australien nach Europa. Den schlimmsten, den "most terrible storm" erlebte er im Englischen Kanal. Doch über den mag er nicht reden. Das gibt's, wenn die Erinnerung an den nahen Tod damit verbunden ist.

Kap Hoorn hat Don nur vor dem Wind umsegelt, bei leidlich gutem Wetter. Einmal kam es sogar ganz gemütlich. An Bord der "Moshulu" war nämlich ein altes Fahrrad. Das hat Don rausgeholt und ist damit an Deck immer im Kreis gefahren. So lange, bis die Insel hinter ihnen lag. Deshalb sagt er von sich, er sei mit dem Fahrrad um Kap Hoorn gefahren. Später wurde Don Kapitän und Kommandant des australischen Schulschiffes "Eye of the Wind".

Captain George Gunn aus Neuseeland gehört zu den Letzten, die um Kap Hoorn steuerten. Und er ist fit wie ein Turnschuh. Kap Hoorn ist ihm in besonderer Erinnerung. An Bord der deutschen Viermastbark "Herzogin Cecilie" hatte er die Insel gerade passiert, als er in stockfinsterer Nacht aus dem Mast über Bord fiel.

"Die Herzogin machte 12 Knoten Fahrt", erzählt er. "Das ist fast Höchstgeschwindigkeit. Irgendwie hatte ich beim Segelreffen den Fuß in eine Leine bekommen und bin von der Rah abgestürzt, hart an der Bordwand vorbei ins eiskalte Wasser. Die Kameraden haben meinen Schrei gehört und es geschafft, das Schiff im Wind zu stoppen. Aber da war es schon fast in der Dunkelheit verschwunden. Gott sei Dank war ich in der Schule der beste Schwimmer. Das hat mir das Leben gerettet."

Capt'n Gunn, in späteren Jahren Kapitän einer Ölbohrinsel, Leuchtturmwärter, Hafenmeister und Seenotrettungs-Vormann, ist mit seinen knapp achtzig Jahren auch heute noch wie ein Junge, der keine Wippe auf dem Kinderspielplatz auslässt. Eine Familie hat er nie gegründet. "Ich habe in allen Häfen der Welt eine Freundin gehabt", erzählt er. "Und ich bin froh, dass ich nie geheiratet habe." Wieso? "Sehen Sie sich die Damen doch an - sind heute alles Witwen." Gunn-Humor.

Keine Witwe, und bei den alten Herren in höchstem Ansehen steht die Australierin Jacky Tailor. Sie ist als Ehrengast von den Kap Horniers eingeladen. Einen besseren Ehrengast könnte man sich nicht denken: Mrs. Tailor ist die Enkelin in fünfter Generation von jenem Captain William Bligh, der als Kommandant des englischen Kriegsschiffes H.M.S. "Bounty"auf dem Weg in die Südsee vergeblich versuchte, Kap Hoorn zu umrunden. Später brach auf seinem Schiff die berühmteste Meuterei der Weltgeschichte aus. Zu Unrecht hat man ihren Vorfahren als Leuteschinder verurteilt. Jacky Tailor: "Sein schlechter Ruf ist eine Erfindung der Filmindustrie. In Wirklichkeit war William Bligh ein eher mitfühlender Vorgesetzter, dessen Fahrt im Rettungsboot durch den unerforschten Pazifik zu den größten navigatorischen Leistungen der Seefahrtsgeschichte gehört." Captain Bligh wurde später zum Konteradmiral befördert und schließlich zum Gouverneur einer australischen Provinz.

Letz, Lewis-Garnham, Gunn, Bligh und all die anderen. Was unterscheidet sie von den anderen Seefahrern?

Es ist der Mythos von Kap Hoorn, der sie umweht. Das Kap Hoorn mit seinen Gegenwinden, Stürmen und Verzweiflungen hat den Seeleuten nichts geschenkt. Es fordert die Tüchtigkeit jedes Einzelnen. Aber jeder Einzelne weiß, dass er ohne die Gemeinschaft der Schiffsbesatzung nicht überleben kann. So wird jede Kap-Hoorn-Umrundung ein Gleichnis auf das Leben selbst.

Die Reise im Fernsehen

Ein Dreivierteljahr dauerten die Verhandlungen mit der chilenischen Sektion der Kap Horniers. Schließlich gelang es TV-Journalist Carlheinz Hollmann, die Welt-Exklusivrechte für diese Story zu erwerben.

Hollmann schlossen sich WELT am SONNTAG-Autor Svante Domizlaff und Fotograf Wolfgang-Peter Geller an. Sie begleiteten die 14-tägige Gedenkreise, die das letzte große Kapitel der Geschichte der Kap Horniers dort unten am Kap schrieb.

Die Carlheinz Hollmann Produktion stellt aus dem Filmmaterial eine 45-minütige Fernsehdokumentation her. Diese soll im Januar oder Februar 2002 gesendet werden.

Hier finden Sie diesen Artikel auch im Online-Archiv der Welt am Sonntag:

http://www.welt.de/daten/2001/12/09/1209h1301302.htx

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